„Komm heraus!“

Gedanken zum Sonntagsevangelium des fünften Fastensonntags (Joh 11, 1–45) von Rosalia Walter, geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland

Quelle: www.kolping.de

 

Jesus sagt zu Martha: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?“ (Joh 11,25-26)

Dieses Gespräch zwischen Jesus und Martha berührt zutiefst unseren Glauben und unser Verständnis vom Weg eines Menschen zwischen Wiege und Grab, und der Frage: was ist danach, anschließend?

„Ich bin die Auferstehung …“  zitieren wir immer bei einer christlichen Beerdigung am offenen Grab. Es sagt sich auch so leicht im Glaubensbekenntnis: ich glaube an die Auferstehung der Toten und das Ewige Leben. Tun wir das wirklich?

Der Glaube an ein Leben nach dem Tod, bei Gott, ist immer wieder infrage gestellt, es gibt dafür keine griffigen Beweise, wir spüren Zweifel und Fragen, die unbeantwortet bleiben. Wir sind beim Glauben an die Auferstehung ganz und gar auf die Kraft unseres Vertrauens und auf das stärkende Zeugnis von Glaubensgeschwistern angewiesen.

Wir alle sind dem Tod unterworfen, jeder und jede von uns muss sterben, aber für einen Christen ist Sterben etwas qualitativ völlig anderes als für jemanden, der an nichts glaubt. Für ihn ist Sterben nicht einfach das Ende. Christliches Sterben ist etwas anderes. Für einen Christen bedeutet Sterben Begegnung. Die Begegnung mit Jesus Christus und durch ihn mit dem dreifaltigen Gott. Er ruft uns. An seiner Hand gehen wir hinüber. Er schenkt uns das Leben. Und deshalb ist Sterben im christlichen Sinn nichts, was wirklich bedrohlich wäre. Das sonst verschlossene Tor des Todes öffnet sich, und der Tod wird gleichsam zur Pforte ins Ewige Leben.

Christus selbst ruft uns heraus aus dem Grab in das neue Leben. Um das zu zeigen, um das seinen zweifelnden Jüngern und anderen zu erklären, nimmt Jesus sie mit zum Grab des Lazarus, lässt sie dieses Grab öffnen, und ruft: „Komm heraus!“, und ein schon Verwesender („er riecht schon“) kommt aus diesem Grab heraus.

Gott ruft auch uns von den Toten zu sich, wir dürfen auferstehen, das ist die Botschaft; Christus ist nicht an unumstößliche Prinzipien wie den Tod gebunden, Er kann diese Grenzen aufbrechen, und wird es tun, um uns zu sich zu rufen.

Für mich ist die Frage Jesu: „Glaubst du das?“ eine Herausforderung, eine Provokation, ob ich angesichts des Todes noch bereit bin weiter zu hoffen, weiter nach Lebenssinn zu suchen, ob ich bereit bin trotz aller Grenzerfahrungen einen neuen Anfang, einen neuen Aufbruch zu wagen. Daher treffen mich die Worte, die Jesus dann dem toten Lazarus zuruft immer dann, wenn ich fertig bin, wenn ich mich am Ende fühle, wenn ich meine, jetzt geht nichts mehr, wenn ich meine Grenzen spüre. Der Ruf: „Komm heraus“ ist eine Provokation im wörtlichen Sinn (lateinisch: pro-vocare: hervor-rufen). Komm heraus aus der Isolation deiner Traurigkeit, komm heraus aus der Verhärtung deines Gekränktseins, komm heraus aus deiner Rechthaberei, aus deinem Stolz, aus deiner Bitterkeit, deiner Gier.

Mit machtvoller Stimme ruft Jesus uns heraus aus unseren Gräbern des Egoismus und der Heuchelei, der Herzenshärte und Gleichgültigkeit. Er ruft uns aus den Prunkgrüften kirchlicher Selbstgefälligkeit und Machtausübung – denn in all dem trägt der Tod unablässig seine Siege davon. Wo immer ein Mensch diesem Ruf Jesu zum Leben folgt, dort bahnt sich ein Ostern an – das Fest des Lebens. Wo immer einer auf Jesu Wort hin anfängt, Mensch zu sein, und wo immer der eine dem anderen dabei hilft, dort kommt es zu einem Aufstehen, fängt Auferstehung an im Hier und Jetzt.

Jesus Christus ist die Auferstehung und das Leben. Er ruft die Menschen aus dem Tod ins Leben. Was ändert sich dadurch für uns? Viel! Es ändert sich unsere Einstellung zum Sterben, unsere Vorstellung vom Leben nach dem Tod und dadurch auch unsere Einstellung zum Leben vor dem Tod. Das Leben vor dem Tod bekommt eine ganz neue Weite und Perspektive. Es wird gelassener. Es hat ein Ziel. Das Leben vor dem Tod wird dann im Zusammenhang gesehen mit dem Künftigen.

„Ich bin die Auferstehung und das Leben! Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“, verspricht Jesus. Auch, wenn wir es hier nicht sehen können, wartet nach dem Tod etwas unglaublich Gutes auf uns. Sterben ist unumgänglich, aber es ist nicht das Ende. Es ist der Beginn neuen Lebens. Wir werden bei Gott sein, für alle Ewigkeit.

Darum mahnt auch Adolph Kolping seine Gesellen: „Setze dich nur ruhig hin und schaue dir das inhaltschwere Wort an: Du bist für die Ewigkeit da!“

Gerade in diesen Tagen ist unser Glaube gefragt und angefragt. Das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus will uns Kraft und Zuversicht schenken, unseren Glauben neu zu entdecken. Nehmen wir diese Chance an, folgen wir dem Ruf „komm heraus“ und leben wir in dieser Zeit mit der Perspektive Ewigkeit.

Foto: Bruno van der Kraan/Unsplash